regenerierbarbare Ressourcen
In
der ersten Interpretation würde Nachhaltigkeit besagen, dass sich jedes
Land soweit wirtschaftlich entwickeln darf, wie der Gesamtbestand an
globalen Ressourcen dadurch nicht vermindert wird. Ähnlich wie in John
Lockes Eigentumstheorie die ursprüngliche Aneignung von Land lediglich
in dem Maße gerechtfertigt ist, als anderen "enough, and as good"
verbleibt, soll jede Generation die vorhandenen Ressourcen nur in dem
Maße nutzen dürfen, als der nächsten Generation Ressourcen derselben
Quantität und Qualität verbleiben. Das bedeutet konkret, dass regenerierbarbare
Ressourcen mit keiner höheren Rate genutzt werden, als sie nachwachsen
(jeder geschlagene Baum wird durch einen neu gepflanzten ersetzt), dass
nicht-regenerierbare Ressourcen durch regenerierbare Ressourcen
ersetzt werden (für jedes verbrauchte Barrel Rohöl werden 1000 Bäume
neu gepflanzt) bzw. durch Wissenszuwächse und technische Verbesserungen,
die die Substitution oder vermehrte Ausbeute und Nutzung nicht- regenerierbarer
Ressourcen erlauben, und dass die ökologischen Spielräume für die Absorption
von Schadstoffen und Abfällen erhalten bleiben.
Einer der Gründe,
weswegen sich viele Theoretiker der nachhaltigen Entwicklung von dieser
Interpretation angezogen fühlen, ist darin zu sehen, dass sie keinerlei
Bewertung des zu erhaltenden Naturkapitals erfordert und damit
die mit einer Bewertung verbundenen Informationsprobleme zu umgehen
erlaubt.
Sieht
man von diesem eher technischen Aspekt ab, erscheint die zweite Interpretation,
die sich statt auf materiale auf funktionale Größen bezieht,
allerdings vorzugswürdig. Denn anders als die ersten Interpretation lässt
sie eine Substitution verlorengegangener Naturbestandteile
durch funktionale Äquivalente zu. Es kann ja nicht darauf ankommen, dass
eine bestimmte Menge eines Naturstoffs oder jede einzelne biologische
Art erhalten bleibt, sondern dass die Funktionen (einschließlich
der ökologischen, ästhetischen und kulturellen Funktionen) dieser Naturbestandteile
erhalten bleiben. Unterscheiden sich zwei verschiedene Stoffmengen oder
biologische Arten in keiner ihrer Funktionen (einschließlich
ihrer kulturell definierten, etwa ästhetischen oder pädagogischen Funktionen),
ist nicht ersichtlich, warum beide um den Preis anderweitiger
Nutzungsverzichte erhalten bleiben müssen. Man könnte
allerdings - im Anschluss an Pearce, Barbier und Markandya[31]
- argumentieren, dass angesichts der Unkenntnis über spätere mögliche
Funktionen biologischer Arten und anderer Naturbestandteile und
angesichts der sicheren oder möglichen Irreversibilität des Verlusts
eine risikoaversive Strategie angezeigt ist und man deshalb etwa
die Zerstörung auch nur einer einzigen biologischen Art nicht zulassen
sollte. Aber selbst wenn man dies im Prinzip zugeben muss, müsste doch zugestanden werden (was auch die Vertreter eines ansonsten
rigiden safe minimum standard zugestehen[32]), dass zumindest die Zerstörung einer Art
immer dann zugelassen werden sollte, wenn sie andernfalls nur mit einem
prohibitiv hohen Aufwand zu schützen wäre.
Auch
im Verständnis der Forstwirtschaft beginnt sich eine funktionale Interpretation von Nachhaltigkeit durchzusetzen. Der Wald soll nicht
mehr nur als Holzbestand, sondern als multifunktionales Naturgut erhalten
werden.[33] Innerhalb der aktuellen Diskussion
beinhaltet die Definition der Nachhaltigkeit deshalb neben einer Bestands-
eine Flusskomponente. Die "dauerhafte Erhaltung der Waldfläche"
als Bestandsgröße ist lediglich eine wesentliche Bedingung für die "Fortdauer
des Walddienstes" als Flussgröße. Darüber hinaus
rücken die diversen "immateriellen Waldleistungen" in Form
von Schutzdiensten (Schutz vor Steinschlag, Lawinen und Überschwemmungen)
stärker ins Blickfeld. Es geht heute um die "[ ... ] notwendige
Erhaltung und Gesunderhaltung der Biosysteme als Voraussetzung für eine
nachhaltige Bewirtschaftung der Naturgüter."[34] Neben dem reinen Holzertrag entfaltet der Wald eine
"Wohlfahrtswirkung" in Gestalt von positiven Auswirkungen
auf das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft und als
Lebensraum für Pflanzen und Tier, schließlich auch als Erholungsoption
für den Menschen.[35]
Sowohl in der Bestands-
als auch in der funktionalen Interpretation dürfte der minimalistische
Standard der Nachhaltigkeit politisch nur mit größter Mühe durchzusetzen
sein. Unter ethischen Gesichtspunkten ist er jedoch in beiden Interpretationen
noch immer allzu minimalistisch. Das dürfte aus den folgenden
Überlegungen klar werden:
Erstens erlaubt dieser
Standard, auch dann auf mögliche Verbesserungen der Lage der
späteren Generationen zu verzichten, wenn sich relativ große Wohlfahrtsverbesserungen
für spätere Generationen mit relativ geringfügigen Investitionen oder
Nutzungsverzichten erreichen lassen. Das ist etwa dann der Fall, wenn
damit zu rechnen ist, dass die späteren Generationen die ihr überlassenen
Ressourcen sehr viel effektiver nutzen können als die gegenwärtige.
So könnte es sich aus Sicht der späteren Generationen als eine grandiose
Verschwendung darstellen, dass die begrenzten Vorräte an Erdöl gegenwärtig
überwiegend als Treibstoff genutzt werden, statt dass das Erdöl ausschließlich
als chemischen Rohstoff genutzt und die begrenzten Vorräte damit über
die Folge der kommenden Generationen zu weit "gestreckt" würden.
Zweitens
berücksichtigt der minimalistische Standard die absehbare - und kurzfristig
nicht zu verhindernde - globale Zunahme der Bevölkerung nicht. Wenn
die nächste Generation über denselben Ressourcenbestand wie die gegenwärtige
verfügt, aber über eine um die Hälfte größere Bevölkerung (und
die darauffolgende über eine zweimal so große Bevölkerung), sind
bei Befolgung der minimalistischen Strategie die Angehörigen der
nächsten Generationen vor Katastrophen keineswegs sicher. Gregory Kavka[36]
hat deshalb vorgeschlagen, den Lockean Standard so zu formulieren, dass
nicht die Generationen, sondern die Angehörigen von
Generationen über jeweils dieselben Ressourcen verfügen. In dieser Interpretation
fordert der Standard der Nachhaltigkeit unter den bestehenden Bedingungen
sehr viel höhere Vorsorgeleistungen als in den ersten beiden Interpretationen.
Man
kann dabei wiederum unterscheiden zwischen der schwächeren Interpretation
3, die eine Vorsorge lediglich für die Grundbedürfnisse der Angehörigen
späterer Generationen fordert, und der stärkeren Interpretation 4, die
mehr oder weniger mit dem utilitaristischen Standard zusammenfällt. Die Interpretation 3
lässt sich rekonstruieren als eine
intergenerationelle Version des sogenannten negativen Utilitarismus[37]
der eine Verpflichtung zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer lediglich
bis zur Schwelle der Vermeidung und Linderung ausgesprochener Notlagen
fordert. Diese Interpretation dürfte dem Begriff der "nachhaltigen
Entwicklung", wie er sich im Brundtland-Bericht findet, semantisch
am nächsten kommen. Die grundlegende Definition des
Berichts lautet: "Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung,
die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass
künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen dürfen."[38]
Wie dieses Ziel politisch
umgesetzt werden kann, ist noch völlig unklar. Den
Durchbruch zu einer nachhaltigen Entwicklung soll dem Brundtland-Bericht
zufolge eine Wachstumsstrategie bringen, die durch Energieeinsparung,
Substitutions- und Umweltschutztechnologien dafür sorgt, dass die Entwicklungsländer
einen adäquaten Lebensstandard erreichen, ohne dass die globale Umweltzerstörung
zunimmt: "Diese Wachstumsraten können dauerhaft in bezug auf die
Umwelt sein, wenn die Industrienationen weiterhin wie kürzlich ihr Wachstum
derart verändern, dass weniger material- und energieintensiv gearbeitet
wird und dass die effiziente Nutzung von Materialien und Energien verbessert
wird."[39] Bei Experten wie Daly, Goodland und von Weizsäcker überwiegt jedoch vorerst die Skepsis,
dass wirtschaftliches Wachstum mit einem Verzicht auf zunehmende Ressourcennutzung
und Umweltbelastung verbunden werden kann.[40] Anstatt
zur ökologischen Gesundung zu führen, würde eine Beibehaltung der Orientierung
am Lebensstandard der Industrienationen, wie sie in zahlreichen Dritte-Welt-Staaten
besteht, eher den sicheren ökologischen Untergang der Menschheit nach
sich ziehen.[41]
Bisher
weitgehend ungelöst ist das Motivationsproblem. Psychologisch
spricht alles gegen eine Praktikabilität von Zukunftsverantwortung,
vor allem die Unmöglichkeit einer Vergeltung ethisch motivierter
Vorleistungen durch entsprechende Gegenleistungen, die Anonymität
der Zukünftigen und die Unsicherheiten des prognostischen
Wissens. Wie könnte die Motivation zur Zukunftsvorsorge dennoch gefördert
werden? Wichtig scheint, ein Bewusstsein der eigenen zeitlichen Position
in der Kette der Generationen zu entwickeln und ein generationenübergreifendes
Gefühl der Gemeinschaft wenn nicht mit der ganzen Menschheit, so
doch mit einer begrenzten kulturellen, nationalen oder regionalen Gruppe
auszubilden, um daraus eine Einstellung der Dankbarkeit in rückwärtiger
und der Anerkennung von Vorsorgeverpflichtungen in zukünftiger Richtung
zu gewinnen. Bewusstseinsveränderungen reichen aber sicher nicht aus.
Politisch wäre die Repräsentation der (wahrscheinlichen) Bedürfnisse
und Interessen zukünftiger Generation in gegenwärtigen Entscheidungen
durch die Institution eines Ombudsmann für zukünftige Generationen
auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene ein Schritt
in die richtige Richtung. Auch könnte die Institution der Verbandsklage
über die Belange der Natur hinaus auf die Belange zukünftiger Generationen
ausgedehnt und dadurch auch staatliches Handeln auf seine "Zukunftsverträglichkeit"
hin überprüft werden. Zur Kontrolle und Sanktionierung
der "Zukunftsvergessenheit" nationalstaatlichen Handelns wäre
darüber hinaus ein Weltgerichtshof[42] die beste
Option. Aber auch bereits eine Kommission, vergleichbar der Menschenrechtskommission
der Vereinten Nationen, die über keine Sanktionsmacht verfügt, wäre
hilfreich, indem sie Verletzungen der Interessen Zukünftiger (wie die
Rodung großer Teile des tropischen Regenwalds, die Desertifikation oder
die Emission von Treibhausgasen) zumindest publik machen und Vertragsverstöße
anprangern könnte.
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